Kinder haben ihren eigenen Kopf. Das zeigt sich auch bei der Auswahl ihrer Hobbys. Warum sich mein Töchterlein ausgerechnet fürs Reiten entschieden hat, war mir lange ein Rätsel. Eine Spurensuche auf Berliner und Brandenburger Ponyhöfen brachte mich dem Hype ums Pferdemädchen näher…
1. Der Kinderbauernhof
Kleinkinder lieben Ponys.
Das wurde mir auf dem Kinderbauernhof der ufaFabrik in Tempelhof klar, wo mittwochs immer zum Ponyreiten geladen wurde. Stets warteten die Kleinen geduldig, bis sie an die Reihe kamen, egal wie lang die Schlange oder wie schlecht das Wetter war. Ob Jungen oder Mädchen, alle waren scharf darauf, sich eine Runde auf dem Rücken eines Ponys über das überschaubare Gelände führen zu lassen. Da der Spaß nur zwei Euro kostete, konnte man sich durchaus mehrmals anstellen. -Bis die Stunde um war oder die Lust schwand.
Ich konnte die Faszination am Pferd zwar nie nachvollziehen, finde aber grundsätzlich erst einmal alles toll, was die Kinder begeistert. Damit war klar, dass ich dem Wunsch meiner Tochter nachkommen würde, das Reiten zu erlernen.
2. Der subversive Reiterhof
Trotz der vielen Reiterhöfe in unserer Gegend war es jedoch gar nicht so einfach, einen zu finden, der unseren Ansprüchen genügte. Jedenfalls hat es Jahre gedauert, bis Töchterlein endlich regelmäßig zum Reiten gehen durfte.
Da war zunächst ein Reiterhof vor den Toren Berlins, der mit Ferienangeboten lockte. Mal ein verlängertes Wochenende, mal eine ganze Woche, immer auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Das gefiel mir, denn Töchterlein war bis dato nicht gerade für ihr Durchhaltevermögen bekannt. Hobbys brach sie gerne nach drei bis sechs Monaten ab, und zwar für immer. Angesichts ihres zarten Alters von nicht einmal sechs Jahren war ihr das allerdings nicht zu verübeln.
Dank des auf einem Volksfest angebotenen Ponyreitens wurden wir also auf jenen urbanen Reiterhof aufmerksam. Er kam gänzlich ohne Stallungen und Pferdeboxen, Weiden und Wiesen aus. Stattdessen hatte man ein paar Pferde auf ein ehemaliges, schon recht verwildertes Bahngelände gestellt. Dort grasten sie zwischen Schienen und Kopfsteinpflaster. Ein kleines Bahnhäuschen diente als Büro und Schulungsraum. Ansonsten fand alles draußen statt. Auch die Ponys und Pferde standen sommers wie winters im Freien.
Schon der Weg zum Gelände – er führte auf einem schmalen Pfad von einer Einfamilienhaussiedlung durch tiefes Gestrüpp – war echt abenteuerlich. Ohne vorherige Wegbeschreibung, die wir bei der Anmeldung erhalten hatten, hätten wir diesen “Reiterhof” nie gefunden. Wie originell! Das gefiel mir.
Die Trainerin, eine Frau mittleren Alters mit einer Engelsgeduld, war mir ebenfalls auf Anhieb sympathisch. Obwohl sich die Kinder ihrer kleinen Feriengruppe noch im Kindergartenalter befanden, wirkte sie nie überfordert. Vielleicht war sie ja gelernte Erzieherin? Um regelmäßig dort Reiten zu lernen, war mir die Anfahrt jedoch zu lang: 45 Minuten in eine Richtung? -Das wollte ich mir nicht antun.
Wir schauten uns noch einmal in unmittelbarer Umgebung um, doch im Reiterhof des Nachbardorfs waren keine Plätze mehr frei. Dann meldete ich das Kind beim Tennis an in der Hoffnung, es würde daran Gefallen finden.
Natürlich nicht.
Warum lieben Mädchen Pferde?
Das Mädchen liebte Ponys und Pferde und war von ihrer Liebe nicht abzubringen. Ich dagegen konnte es immer noch nicht nachvollziehen. Warum ausgerechnet Pferde? Weder ihr Papa noch ich hatten jemals auch nur das Geringste mit Pferden am Hut. Meine Wenigkeit hatte generell nie Kontakt zu Tieren gehabt – von meinen Meerschweinchen einmal abgesehen, die mich schon nach einer Woche nicht mehr interessierten (sehr zum Leidwesen meiner Mutter, die sich fortan um das Viehzeug kümmern musste).
Dabei gab es schon in meiner Kindheit einen kleinen Pferde-Hype. Die Zeitschrift Wendy etablierte sich langsam. Ein paar meiner Mitschülerinnen ritten regelmäßig. Allerdings wohnten die sehr dörflich und verfügten zumeist über ihre eigenen Pferde oder hatten Bekannte, die Pferde besaßen. Deren Bauernhofwelt war für mich so real wie die Raumstation ISS: Beides existierte, das war mir bekannt, aber es hatte nichts mit meinem Leben zu tun.
Pferde waren für mich so irrelevant, ich glaube, ich hätte mich sogar eher für Autos begeistern können.
3. Der landwirtschaftliche Reiterhof
Kurz vor der Einschulung meiner Tochter versuchten wir unser Glück noch einmal auf einem richtigen Reiterhof, zwanzig Minuten entfernt von unserem Wohnort. Es handelte sich diesmal um einen Bauernhof mit verschiedenen Tieren, vielen Ställen, einer großen Reithalle und richtigen Koppeln. Das kam unserer Vorstellung von einem Reiterhof schon näher. Was mir besonders zusprach: Man brauchte nur die Reitstunden zu bezahlen, die man auch wirklich in Anspruch nahm. Praktisch. Weniger praktisch war, dass man stets bar bezahlen musste. 13 Euro pro Einheit. Für Reitstunden ist das – wie ich mittlerweile weiß – äußerst günstig. Das hätte mich gleich stutzig machen sollen…
Wir haben einen Monat durchgehalten, vielleicht sogar anderthalb. Die Betonung liegt auf “wir”, weil ich mitmachen musste. Und das war dann auch der Punkt, an dem “wir” gescheitert sind.
Ich sollte allen Ernstes das Pony satteln und für den Ausritt fertig machen. Nicht nur einmal, sondern jedes Mal!! Ich!!! (Das Kind war schließlich zu klein.)
Klar, es wurde mir einmal gezeigt, und ja, ich war physisch anwesend, geistig jedoch nicht aufnahmefähig. Schließlich interessierten mich Ponys immer noch nicht die Bohne.
Zu allem Überfluss sollte ich das Pony auch noch herumführen – vom Stall zur Reithalle, in der Reithalle herum und von der Reithalle zurück in den Stall. Das Pony hatte natürlich keine Lust. Da waren wir schon zwei. Es war ein Krampf. Dazu der Spott in den Augen der Trainerin, für die offenbar jeder, der ein Pony nicht in den Griff bekommt, zu einer Kategorie Mensch zählt, die sich auf dem Niveau eines Regenwurms befindet. Wobei diese Frau vermutlich sogar mehr Sympathien für Regenwürmer hegte als für mich und meine Tochter.
Nach diesem Erlebnis meldete ich das Kind beim Volleyball an – in der Hoffnung, es würde daran Gefallen finden.
Als meine Tochter noch ganz klein war, habe ich mir bereits überlegt, ab welchem Alter es sinnvoll wäre, ihr die Techniken des Volleyballs beizubringen. Ich stellte mir vor, wie ich sie zum Training und zu den Punktspielen begleiten und sie anfeuern würde. Und nun war das Kind auch noch so hochgewachsen! Wenn das kein Indiz dafür war, Volleyballerin zu werden! Mit ihrem Monsterblock hätte sie so viele Angriffe abwehren und selbst so hart ins gegnerische Feld schmettern können, dass ihr die Profikarriere Gewiss gewesen wäre! Ein Traum. Wortwörtlich.
Nun, sie hat es immerhin versucht, das muss ich ihr lassen. Von ihrer Pferdeliebe war sie allerdings immer noch nicht geheilt, während ich weiterhin grübelte, was gerade Mädchen dazu veranlasst, Pferde zu lieben.
Pferdemädchen: Eine weibliche Jugendkultur
Dieses Wochenende kam dann die Antwort per Zeitungsartikel. Ich zitiere: “Der Umgang mit den Tieren ist mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung. Es ist eine Haltung zum Leben – und zwar eine, die auf Einsatz und Anstrengung und Teamfähigkeit baut.” So jedenfalls steht es im Tagesspiegel vom 1. Oktober 2023.
Eine Haltung zum Leben kann ich auch beim Volleyballspielen finden, Einsatz, Anstrengung und Teamfähigkeit inklusive. Diese Antwort ist mir zu pauschal.
Im Artikel finden sich jedoch noch weitere Erklärungen. Eine, die mir besonders plausibel erscheint, ist der genannte “Rückzug an einen Ort, der sich abgrenzen lässt vom alltäglichen Umfeld” – eine eigene Welt mit eigenen Regeln. Bei den Pferdemädchen handele es sich um die einzige weibliche Subkultur. Diese zeichne sich durch die besondere Beziehung zu einem großen, starken Lebewesen aus, statt zu materiellen Dingen. Es sei der Versuch, dem Leben einen anderen Sinn zu geben.
Allerdings sei auch hier angemerkt, dass sich der Wortlaut auf jedes x-beliebige Hobby beziehen könnte. Denn definieren sich Hobbys nicht per se dadurch, dass sie einen Ausgleich zum Alltag schaffen?
Und auch wenn im Artikel die Rede von “weiblicher Subkultur” ist, frage ich mich, was Jungen davon abhält, die Reiterhöfe ebenfalls zu erobern. Dass Mädchen Fußball spielen, ist schließlich auch keine Besonderheit mehr. Niemand würde heute noch behaupten, nur lesbische Mannsweiber hegen eine Liebe zu diesem Sport. Selbst das in meiner Jugend als weiblich verschriene Volleyball hat sich emanzipiert: Als ich meiner Tochter beim Training zuschaute, waren die teilnehmenden Jungen zu meiner großen Überraschung in der Überzahl. Genial!
Die Liebe zum Pferd ist jedoch exklusiv weiblich konnotiert. Liegt es etwa an Filmen und Serien wie “My little Pony”, “Ostwind” oder “Bibi & Tina”, die vor allem Mädchen ansprechen? Oder an den unzähligen Einhorngeschichten, von deren rosa Glitzerwelt sich Jungen in der Regel abgestoßen fühlen? Warum wird eine “weibliche Subkultur” glorifiziert, die nur deshalb entstanden ist, weil fiktive Werke, Marketing und Merchandising die Aufspaltung in gängige Geschlechterrollen verstärkt haben?
4. Der klischeehafte Reiterhof
Vor gut einem Jahr erfolgte der letzte Versuch, einen Reiterhof zu finden. Es war der letzte, weil er geglückt ist. Anfangs habe ich mich zwar auch über diesen Hof lustig gemacht, weil er mir auf seine eigene Art skurril erschien. (Er wirkt wie aus dem Bilderbuch, so dass dort bereits Serien und Foto-Stories gedreht wurden, die – natürlich – von Pferdemädchen handeln.) Doch ich muss zugeben, dass selbst ich mich dort wohlfühle. Denn auf diesem Reiterhof werde ich in Ruhe gelassen: Niemand verlangt von mir, Pferde zu satteln und herumzuführen. Ich muss sie noch nicht einmal streicheln – oder gar mögen. Das spielt keine Rolle. Ich spiele keine Rolle. Dafür kümmert man sich dort erstklassig um die Kinder.
Die Trainerinnen sind keine alten, verbitterten Menschenhasserinnen wie im Hof zuvor, sondern junge, hübsche Studentinnen, die stets ein liebes Wort auf den Lippen haben. Viele von ihnen könnten – so wie sie aussehen – ebenso gut nebenbei modeln. Da lasse ich doch gerne 160 Euro im Monat für die Reitstunden meiner Tochter springen (zum Vergleich: Volleyball hätte 60 Euro im Jahr gekostet).
Nein, im Ernst, mir blutet angesichts der Kosten das Herz. Noch mehr ärgert mich, dass wir schlussendlich doch noch auf einem dieser elitären, klischeehaften Höfe gelandet sind, wo die Teslas und Porsches der Eltern Parkplätze und Einfahrten blockieren. Der Reitsport muss überhaupt nicht elitär sein und erst recht nicht teuer, wie unsere Vorerfahrungen gezeigt haben. Für jeden Geschmack wird etwas Passendes geboten.
Nun denn, die Pferde sehen – für einen Laien wie mich – auf jedem Reiterhof gleich aus. Und egal, auf welchem Hof man sich befindet, überall schlägt einem der Geruch nach Gülle entgegen. Auch dieser Realitätscheck konnte die Pferdeliebe meiner Tochter nicht schmälern. Das Kind ist glücklich, also bin ich es auch.
MM
Nachtrag: Glücksgefühle
Angesichts der Tatsache, dass ich auch nach meinen Recherchen zu diesem Beitrag nicht wirklich nachvollziehen konnte, was den Reiz des Reitens ausmacht, habe ich noch eine Bekannte dazu befragt. Sie hat erst im Erwachsenenalter das Reiten erlernt und folglich auch recht spät einen Bezug zu Pferden entwickelt. Trotzdem macht es ihr Spaß, zu reiten. Auf meine Frage, warum, antwortete sie, dass sie Glück empfindet, sobald sie auf dem Pferd sitzt und „dieses große, starke Wesen“ steuert.
An dem Spruch „Auf dem Rücken der Pferde liegt das Glück dieser Erde“ scheint also was Wahres dran zu sein.
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