THEM – eine Serie zum Weggucken?
Wir streamen schon seit gut einem Jahrzehnt. Angefangen hat es mit Netflix, mittlerweile haben wir tatsächlich eine ganze Hand voll Streamingdienste abonniert. Somit ist es nicht verwunderlich, dass ich auch in den vergangenen Monaten in den Genuss diverser Serien gekommen bin. Allerdings war keine einzige dabei, über die es sich zu berichten gelohnt hätte. Ausgenommen “Mare of Easttown”, einem undurchsichtigen Krimi mit einer herausragenden Kate Winslet in der Hauptrolle.
Trotzdem gehe ich davon aus, dass ich die Story der Serie früher oder später vergessen haben werde. Nicht dass sie banal wäre – das ist sie keineswegs! Es soll auch kein Merkmal mangelnder Qualität sein, etwas zu produzieren, was ich letzten Endes doch wieder aus meinem Gedächtnis tilge. (Ich habe schon zahlreiche wirklich phänomenale Bücher gelesen, an deren Inhalt ich mich absolut nicht mehr erinnern kann!)
Ein Lehrstück gescheiterter Integration
Doch es gibt eben auch Serien (und Bücher), die unvergesslich bleiben – und dazu gehört THEM (Trailer). Denn die Serie ist so ziemlich das Strapaziöseste, was ich mir jemals reingezogen habe. Gestern wollte ich mir die vorletzte Folge ansehen, aber ich musste vorspulen, denn es war einfach zu qualvoll. Unerträglich. Danach konnte ich nicht einschlafen, so dass ich heute total gerädert bin.
Der Grund, weshalb ich über THEM schreibe, ist, dass ich den Inhalt der Serie verarbeiten muss:
Die Geschichte beginnt eigentlich ganz harmlos: eine schwarze Familie (Die Emorys) verlässt ihre Heimat in North Carolina, um in Los Angeles einen Neuanfang zu wagen. In der Vergangenheit haben die Emorys sehr unter ihren weißen Nachbarn gelitten, ohne dass das geschehene Unrecht je vergolten worden wäre. Deshalb lässt sich schwer nachvollziehen, weshalb sie in Los Angeles ausgerechnet in ein rein weißes Viertel ziehen.
Das Martyrium einer schwarzen Familie in den 50ern
Möglicherweise handelt es sich um eine Trotzreaktion, welche die Familie allerdings schon nach wenigen Tagen an ihrem neuen Wohnort bereut. Denn auch die Nachbarn hier sind alles andere als begeistert vom Zuzug der Schwarzen. Was folgt, ist der reinste Psychoterror, der selbst vor den Kindern der Emorys nicht Halt macht.
Ganze zehn Tage halten es die Emorys in ihrem neuen Zuhause aus – zehn Folgen portraitieren ihr Martyrium. Ich hatte in jeder einzelnen eine Gänsehaut. Doch es war kein lustvolles Erschaudern, wie sonst üblich bei Horrorfilmen. –Wo man weiß, dieses Monster existiert eh nicht und jene übernatürlichen Kräfte hat sich auch nur jemand ausgedacht.
Hier packt einen das schiere Grauen, weil es die netten Nachbarn sind, von denen der Terror ausgeht.
Was Kritiker der Serie vorwerfen
Ich habe einige Kritiken gelesen, die sich mit THEM auseinandersetzen. Die meisten davon sind extrem negativ, zumindest aber sehr gespalten. Die Serie wurde (gerade im englischsprachigen Raum) zerrissen, weil sie den Rassismus so unverblümt darstellt. Weiterhin wird bemängelt, dass der (weiße) Zuschauer aus der Serie angeblich nichts lernt, es erfolge keine Katharsis.
Hier muss ich allerdings einwenden, dass THEM kein antikes Lehrstück ist, sondern eine Serie, die sich dem Horror-Genre verschrieben hat. Und das, was THEM zeigt, ist wirklich der blanke Horror. Insofern haben die Produzenten von THEM gute Arbeit geleistet.
Andererseits werden die schwarzen Protagonisten permanent als Opfer dargestellt, ein Umstand, der es gerade farbigen ZuschauerInnen unerträglich machen dürfte, dem Schicksal der Emorys beizuwohnen.
Wenn ich mir vorstelle, es gäbe eine Serie über eine ostdeutsche Familie, die von der ersten bis zur letzten Folge von Westdeutschen gedemütigt wird und leiden muss – ich als Ostdeutsche würde mir diese Serie nicht anschauen. (Das soll nur ein Beispiel sein: Man könnte auch sagen, Frauen, die unter Männern leiden, Migranten, die unter Deutschen leiden o. Ä.)
Trotzdem sehenswert
Im Großen und Ganzen überwiegen (aus meiner Sicht) jedoch die Stärken der Serie, die zum einen darin liegen, dass konsequent aus der Sicht der schwarzen Familie erzählt wird. So ist auch der weiße Zuschauer gezwungen, die Perspektive “der Anderen” einzunehmen: Wie es ist, ständig angegafft zu werden, nicht dazuzugehören, so sehr man sich auch anstrengt, nie das zu bekommen, was einem zusteht, keinerlei Rechte zu haben und nie als ebenbürtig betrachtet zu werden. Vor allem aber zeigt die Serie, wie dünn der Mantel der Zivilisation ist: Kaum wähnen sie sich von Feinden umstellt, bricht aus ganz „normalen“, gebildeten, wohlerzogenen Menschen das pure Böse hervor.
Zum anderen wird hervorragend geschildert, welche Spuren die ständigen Demütigungen, der nicht enden wollende Terror auf der Psyche der Emory-Familien hinterlässt. Nach und nach verfällt jeder einzelne von ihnen dem Wahnsinn. Die Serie bemüht hierfür Dämonen aus der Hölle, was meiner Meinung nach nicht nötig gewesen wäre. Man ahnt auch so, dass die in der Vergangenheit erlittenen Traumata die Protagonisten von innen auffressen. Dagegen wirken die weißen Nachbarn tatsächlich nur noch wie Statisten.
Weil die Serie so kontrovers aufgenommen wurde, haben die Macher sehr viel Bonusmaterial zur Verfügung gestellt, um sich zu erklären. Hier zum Beispiel kommt der Regisseur Little Marvin zu Wort.
Bleibt zu hoffen, dass THEM kein Trauma auf meiner zarten Seele hinterlässt. Heute Abend werde ich mir die letzte Folge ansehen. Wer weiß, ob ich es aushalte – oder wieder vorspulen muss…
MM
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