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Revolutionary Road – eine Buch-Rezension

Wie heißt es so schön?:

Life is what happens while you are busy making other plans.

John Lennon

Also lieber keine Pläne schmieden, sondern sich mit den Umständen arrangieren, die das Leben so mit sich bringt?

Genau dagegen sträubt sich April Wheeler, eine der Hauptfiguren im Roman Revolutionary Road (Zeiten des Aufruhrs). Was nicht verwundert angesichts der Umstände, die sie in ihr derzeitiges Leben zwangen: Dank einer ungewollten Schwangerschaft bricht sie ihre Ausbildung ab, heiratet, zieht aus New York raus in ein Suburb und pflegt ein Dasein als Mutter und Hausfrau. Dabei wollte sie doch Schauspielerin werden, die Welt kennen lernen, bestenfalls ein paar Jahre in Europa leben.

Auch ihr Mann Frank kann kaum glauben, dass er immer noch seinem eilig nach dem Studium ergriffenen Brotjob nachgeht, einer Arbeit, die an Bedeutungslosigkeit kaum zu überbieten ist.

Es gibt kein Entrinnen

zeiten des aufruhrs
revolutionary road

Schon auf den ersten Seiten des 1961 erschienen Romans wird klar: April und Frank fühlen sich für Höheres berufen, finden sich aber in einer Umgebung wieder, die ihresgleichen nicht würdig erscheint. Selbst wohlgesonnenen Freunden und Bekannten gegenüber fühlen sie sich überlegen. Die seien schließlich einfache Spießbürger, sie hingegen Intellektuelle, die nur vorübergehend in einer Art Sackgasse feststeckten. -Bis April den Vorschlag macht, mitsamt der Familie nach Paris auszuwandern.

Und nun kommt zum Ausdruck wie gegensätzlich das Ehepaar Wheeler seine momentane Situation in Wirklichkeit bewertet: Während April beinahe verzweifelt nach einer Exit-Strategie sucht, um dem goldenen Käfig zu entrinnen, hat sich Frank längst mit seinem Leben arrangiert. Zwar beschwert er sich stets und ständig über seine sinnlose Arbeit, aber trotz intensiven Nachdenkens kann er sich keine andere für sich vorstellen.

Es gibt kein Richtig und kein Falsch

Er ist eben kein Bohemien, kein Künstler, kein Freigeist (auch wenn er seiner Frau lange vorgemacht hat, einer zu sein). Insofern fühlt sich die Banalität seiner Mittelklasseexistenz für ihn richtig an. Sie passt zu ihm. Er ähnelt mit dieser Einstellung dem Antihelden Ethan Hawley aus „Der Winter unseres Missvergnügens“ (John Steinbeck), einem Roman, der ebenfalls 1961 erschienen ist.

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In den Rezensionen zu Revolutionary Road bzw. Zeiten des Aufruhrs wird oft herablassend über Frank geschrieben. Er sei ein Feigling, der seine Frau ins Unglück stürze, weil er sich ihren Plänen widersetzt. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass sich Frank in Paris ebenso fehl am Platz fühlen würde wie April im amerikanischen Suburb.

Denn letztlich spielt es überhaupt keine Rolle, wo man wohnt, sondern vielmehr, ein für sich passendes Leben zu führen:

Jeder Mensch strebt danach, mit seinen individuellen Bedürfnissen und Begabungen in Übereinstimmung mit der Umwelt zu leben. Je besser ihm dies gelingt, desto größer sind sein Wohlbefinden, sein Selbstwertgefühl und seine Selbstwirksamkeit.

Remo H. Largo: Das passende Leben

Auch der von angeblichem Stumpfsinn geprägte suburbane Lebensstil spielt eine untergeordnete Rolle. Stattdessen schildert Yates brillant, auf welche Art und Weise seine Protagonisten dieses Leben ergreifen: unbedarft und ziellos.

April und Frank (wie so viele andere) werden von den Umständen überrumpelt. Eine vermeintlich unbedeutende Entscheidung folgt der nächsten – und plötzlich sitzen sie in der Falle. Das Leben, das sie sich eigentlich erträumt haben, wird aufgeschoben, so als würde es bis in alle Ewigkeit darauf warten, ergriffen zu werden.

Doch egal, wie frei wir uns zu sein wähnen, ein einmal beschrittener Lebensweg ist in der Regel unumkehrbar. Das muss April Wheeler schmerzhaft erfahren, als sie versucht, die Kontrolle über ihr Leben wiederzugewinnen. Sie scheitert.


Was den Roman so besonders macht, ist zum einen seine Aktualität: Obwohl er in den 50er Jahren geschrieben wurde, könnte er genauso gut die derzeitige Situation von Paaren und Familien schildern. Ja, es ist geradezu unheimlich, wie wenig sich die Menschen seither weiterentwickelt haben.

Zum anderen ist Yates` Schreibstil geradezu perfekt. Angesichts der Tatsache, dass Revolutionary Road sein Erstlingswerk war, frage ich mich, ob sich die Menschheit schreibtechnisch sogar zurückentwickelt hat.

Intelligent, thinking people could take things like this in their stride, just as they took the larger absurdities of deadly dull jobs in the city and deadly dull homes in the suburbs. Economic circumstance might force you to live in this environment, but the important thing was to keep from being contaminated. The important thing, always, was to remember who you were.

Richard Yates: Revolutionary Road

[Franks anfängliche Gedanken zu seinem Wohnort. Dass er seine einstigen Ideale längst verraten hat und somit bereits kontaminiert (verunreinigt! – welch‘ exzellente Wortwahl!) ist, wird ihm erst später bewusst.]

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Revolutionary Road wurde übrigens auch verfilmt – mit Leonardo diCaprio und Kate Winslet in den Hauptrollen. Allerdings hat mich der Film damals (2008, ein Jahr nachdem ich zum ersten Mal Mutter wurde) noch nicht berührt. Die Gefühle und Ansichten der Protagonisten sind für mich erst richtig nachvollziehbar geworden, als ich selbst in ein Suburb gezogen bin

In jedem Fall widmet sich der Film einer undankbaren Periode. Schließlich beginnt er dort, wo die meisten anderen Filme enden: Nachdem sich Held und Heldin küssend in die Arme fallen und einem gemeinsamen Leben nichts mehr im Wege steht.

MM


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