Ein Ausflug in die männliche Sozialisation

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Meine Schwiegereltern sind endlich umgezogen. Seit vorgestern wohnen sie offiziell in Polen. Um möglichst wenig Ballast mitzuschleppen, hat Schwiegermuttern mir alle ihre Fachbücher vermacht. Ich soll sie verkaufen, aber es gibt weniger an Sexualpädagogik interessierte Menschen als man gemeinhin denkt. Noch bin ich kein einziges Buch losgeworden, nicht mal für einen mickrigen Euro!
Also habe ich angefangen, ein Buch nach dem anderen selber zu lesen. Begonnen habe ich mit Männliche Sozialisation, eine äußerst aufschlussreiche Abhandlung. -Zumindest erlangte ich so manch neue Erkenntnis. 

Naiv wie ich bin, dachte ich bislang nämlich, dass Männer und Frauen – von ihren körperlichen Unterschieden einmal abgesehen – im Grund gleich seien. Menschen eben. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, wenn man diesem Buch Glauben schenken darf.

Nun kann ich mir die Frage, weshalb fast ausschließlich Mädchen dem Hobby Reiten frönen, auch endlich selbst beantworten. Anders als ich bisher annahm, liegt es nicht an der Industrie, dem Marketing, dem Einhorn-Hype oder gar den Mädchen selbst. Nein, es liegt an den Jungs!

Während Mädchen und Frauen sich eine Männerdomäne nach der anderen erobern (und überhaupt kein Problem damit haben, männlich konnotierten Hobbys und Berufen nachzugehen, schließlich war auch das Reiten einst eher dem Mann vorbehalten), hadern Männer offenbar von Kindesbeinen an mit ihrer Geschlechtsidentität.

Um zu beweisen, dass sie wahre Männer sind, lautet ihr Credo deshalb, sich von den Mädchen und allem, was irgendwie weiblich verschrien ist, abzugrenzen. Selbst wenn ein Junge also Pferde liebt und gerne reiten lernen möchte, müsste er sich dazu überwinden, in eine (angeblich) weibliche Sphäre einzutauchen, was seinem Image unter Geschlechtsgenossen natürlich schadet. Denn schon früh definieren sich Jungs über ihre Dominanz gegenüber Schwächeren – und dazu zählen immer noch Mädchen.

Vereinfacht gesagt, wer ein „weibliches“ Hobby pflegt, wird quasi vom Weiblichen kontaminiert und somit selber weiblich, also schwach. Und wer schwach ist, steht in den Hierarchie ganz unten. Hierarchien wiederum bedeuten Männern offenbar viel, weil… tja, darüber kann ich nur spekulieren. Mir als Frau erschließt sich tatsächlich nicht, weshalb man nach Macht und Dominanz streben sollte. Viel zu stressig, meiner Meinung nach… 

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Man kann sich nach diesen Ausführungen aber vorstellen, wie viel Überwindung es einen Mann kosten muss, einen weiblich konnotierten Beruf zu ergreifen, ist er damit aus hierarchischer Sicht ja schwach und unterlegen. Ja, einige Männer scheinen gar eine irre Angst vor ihren weiblichen Anteilen zu haben – und zeigen sich aus diesem Grunde nicht nur frauenfeindlich, sondern auch homophob. (Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, wir alle tragen sowohl männliche als auch weibliche Anteile in uns.)

Laut Buch haben wir Frauen es jedenfalls deutlich einfacher in der Herausbildung unserer weiblichen Identität, weil wir per se gebärfähig sind. Ob wir nun Kinder bekommen oder nicht, allein die Möglichkeit dazu zeugt von einer Fähigkeit, die der Mann niemals erlangen wird – und die uns deutlich vom Mann abhebt. Hinter der Verachtung bzw. Abwertung der Frau steckt also auch der sog. Gebärneid

Haha, Gebärneid – selten so ein widersprüchliches Wort gelesen. Man kann davon ausgehen, dass Männer täglich drei Kreuze machen, weil dieser Kelch an ihnen vorübergegangen ist. 
Tatsächlich ist mit diesem etwas unglücklich formulierten Begriff gemeint, dass Frauen ihre Weiblichkeit nicht in Frage stellen. Keine Frau (die ich kenne) fühlt sich dazu bemüßigt, beweisen zu wollen, dass sie eine echte Frau ist. Männer dagegen brauchen einen äußeren „Feind“, den sie dominieren oder von dem sie sich abgrenzen müssen, damit sie sich männlich fühlen. Scheinbar kommt die Männlichkeit nicht von innen?

Trotzdem sei dagegenzuhalten, dass sich kein einziger Mann in meinem Dunstkreis befindet, der nach Macht strebt, Frauen nicht ernst nimmt und seine Partnerin darum beneidet hätte, ein Kind hervorzupressen. Um genau zu sein, sind es sogar eher die Frauen in meiner Familie, die ihre Männer dominieren und manipulieren. Letzteres löst allerdings immer wieder Befremden in mir aus, weil ich es anmaßend finde, einen erwachsenen Menschen – egal ob männlich oder weiblich – nach seinem Bilde zu formen. 

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Offenbar hat seit 1993, dem Erscheinungsdatum des Buchs „Männliche Sozialisation“, ein Umdenken unter Männern stattgefunden. Lediglich bei Kindern fällt mir manchmal auf, wie sehr sie sich noch auf weibliche und männliche Rollen und Vorbilder berufen. So wollte ich meinen Sohn, als er in die vierte Klasse ging, dazu überreden, eine Mitschülerin zu seinem Kindergeburtstag einzuladen. Sie hatte ihn zuvor auch eingeladen und ich erwartete nun, dass er sich revanchierte. Er weigerte sich jedoch, was ich absolut nicht nachvollziehen konnte (sie war ein nettes Kind und sie spielten nachmittags hin und wieder zusammen). Darüber gerieten wie so in Streit, dass er anfing zu weinen, aber er wollte ums Verrecken nicht von seinem Standpunkt abweichen. Nun weiß ich dank des Buchs, dass er sich vor seinen Kumpels wahrscheinlich nicht die Blöße geben wollte. 

Eigentlich können sie einem ja leidtun, die kleinen Jungs und die Männer, die sich seither nicht weiterentwickelt haben: Sie verschließen sich einem so großen Teil unserer aller Lebenswelt, wenn sie das Weibliche ablehnen. Ihnen bleibt das Große und Ganze stets vorbehalten.

MM


Männliche Sozialisation | Bewältigungsprobleme männlicher Geschlechtsidentität im Lebenslauf, von Lothar Böhnisch und Reinhard Winter, 1993

Beitragsbild von Chulpan Gallyamova


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4 Kommentare

  1. Queen All

    Ganz ehrlich glaube ich diese Theorie sofort und habe auch schon einige solche Exemplare erlebt. Und auch unterschwellig zeigen sich bei vielen noch aufgeklärten und weltoffenen Männern immer wieder genau solche Anwandlungen. Zugeben würde das natürlich keiner. So gleich sind wir halt soch alle nicht – und das ist auch ok (vor allem, wenn es ums Getränkekisten schleppen geht 😉).
    Vielleicht findet sich ja auch das „Aroganz-Prinzip“ in deinem Fundus, das ist auch sehr aufschlussreich und lustig, das beschriebene Verhalten hinterher in freier Wildbahn zu beobachten. Es gibt ja glücklicherweise auch genug Gegenbeispiele – auch Männer lassen sich nicht in eine große Schublade stecken.
    LG
    Vanessa

    • Miss Minze

      Huhu,
      definitiv – wir Frauen sind ja auch nicht alles gleich! Insofern gibt es mit Sicherheit noch immer Männer, die denken, sie seien die Krone der Schöpfung. Aber ich bin froh, dass sie zu einer aussterbenden Art gehören. Ich denke, die emanzipierten Männer sind auf dem Vormarsch. Wobei ich natürlich nicht objektiv beurteilen kann, ob sich das vielleicht doch nur auf meine Bubble beschränkt…
      Das „Arroganz-Prinzip“ kenne ich jedenfalls noch nicht. Was soll das denn sein?
      LG Anne

      • Queen All

        Das ist ein sehr interessantes Buch über das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen und die daraus entstehenden Mißverständnisse. Der Titel ist etwas irreführend, es geht nicht darum, möglichst arrogant zu sein. Der Autor ist ein Hr. Modler.
        Die Alpha-Männchen gibt es noch zu genüge und in manchen Branchen und/oder Führungsebenen scheinen sie ihre natürlichen Lebensraum zu haben. Aber wenn man es nüchtern betrachtet, ist das Silberrücken-Getue ganz amüsant. Das kommt dann aber auch bei emanzipierten Geschlechtsgenossen denkbar schlecht an.
        LG

        • Miss Minze

          Das Buch kommt auf jeden Fall auf meine To-Read-Liste 😉

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