Geht unter die Haut

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Bin im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin gewesen.
Schon beim Anblick der ersten Bilder hat es mir die Kehle zugeschnürt.
Es dauerte nicht lang, und ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Dann lief auch noch der Rotz – und natürlich hatte ich kein Taschentuch dabei.
Da ich die anderen Museumsbesucher mit meinem Schniefen nicht stören wollte, ließ ich ihn laufen, aber das war unangenehm. Und peinlich.
Aber dann konzentrierte ich mich wieder auf die Bilder und Bronzen der Künstlerin, an denen ich aus Selbstschutz recht schnell vorübergehen musste.

Ich hatte Sorge, dass der verbildlichte Schmerz in den Gesichtern und Körpern der Menschen, die Käthe Kollwitz gezeichnet hat, zu sehr auf mich übergehen würde. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann mich davor nicht verschließen. Manchmal kommt es mir so vor, als sei ich ein Resonanzkörper und alles, was von außen in mich eindringt, ruft Schwingungen in mir hervor, die ich nicht so schnell wieder loswerde.

Noch nie hat mich Kunst so berührt – und mitgenommen. Als die Tür zu den Ausstellungsräumen hinter uns ins Schloss fiel, und wir den hellen Vorraum betraten, war ich richtig erleichtert. Trotzdem wirkte das Gesehene noch lange in mir nach.

Mutterschaft & Tod: Die Kunst von Käthe Kollwitz

Frau mit totem Kind
Käthe Kollwitz: Frau mit totem Kind, 1903, Strichätzung, Kaltnadel

Abgesehen von der Verzweiflung, die von diesem Bild ausgeht, gibt es dazu eine etwas unheimliche Geschichte, und zwar nahm die Künstlerin dafür ihren Sohn Peter zum Modell. Dieser starb tatsächlich sehr jung. 1914 fiel er im Ersten Weltkrieg. Dazu erläutert das Kölner Kollwitz-Museum:

Als er sieben Jahre alt war und ich die Radierung machte: Die Frau mit dem toten Kind, zeichnete ich mich selbst, ihn im Arm haltend, im Spiegel. Das war sehr anstrengend, und ich mußte stöhnen. Da sagte sein Kinderstimmchen tröstend: Sei man still, Mutter, es wird auch sehr schön…«
Arthur Bonus, Das Käthe-Kollwitz-Werk, 1925

Hans Kollwitz, der ältere Sohn der Künstlerin, bringt mit den Bildserien »Pietà« und »Frau mit totem Kind« den Kriegstod seines jüngeren Bruders Peter in Verbindung:

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Ich frage Mutter, woher sie schon Jahre vor dem Kriege das Erlebnis der Mutter mit dem toten Kind hatte, das fast alle ihre damaligen Bilder beherrscht. Sie glaubt, auch in diesen Jahren schon Peters Tod geahnt zu haben. Mit Weinen hätte sie an diesen Bildern gearbeitet.«
Hans Kollwitz, Briefe der Freundschaft und Begegnungen, 1966

Die erwähnte Pietà ist eine kleine Bronze-Plastik, die eine um ihren toten Sohn trauernde Mutter zeigt. Obwohl die Pietà normalerweise ein christliches Motiv ist, das den Leichnam des vom Kreuz genommenen Jesus Christus auf dem Schoß von Maria liegend darstellt, versteht Kollwitz ihre Plastik nicht als religiöses Werk. Vielmehr verarbeitet sie hier ihren persönlichen Schmerz über den Verlust ihres Sohns.

Die wohl bekannteste Pietà steht im Petersdom in Rom und stammt von Michelangelo. Größer könnte der Unterschied zwischen zwei Kunstwerken mit ähnlichem Thema kaum sein, wie ich finde. Die Trauer tritt bei Michelangelo zugunsten der Ästhetik völlig in den Hintergrund. Maria wirkt, als würde sie allenfalls ein Nickerchen halten.

Seit 1993 steht Kollwitz‘ Pietà in vierfacher Vergößerung in der Neuen Wache in Berlin, die als zentrale Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft dient. Die Statue steht dort in der Mitte eines ansonsten leeren Raumes, was dazu führt, dass man tatsächlich innehält, egal, was einem gerade durch den Kopf ging.

Man hätte kaum eine bessere Künstlerin finden könne, hat sich Käthe Kollwitz doch Zeit ihres Lebens mit dem Krieg und seinen Folgen beschäftigt und ist darüber Pazifistin geworden.

Die Mütter, Käthe Kollwitz
Käthe Kollwitz, Die Mütter, Blatt 6 der Folge »Krieg«, 1921/22, Holzschnitt

Im Berliner Käthe-Kollwitz-Museum sind die Bilder und Skulpturen, die lächelnde Menschen zeigen, rar gesät. Immerhin eine Handvoll widmen sich dem Thema Mutterliebe: das für Käthe Kollwitz stärkste Gefühl, das sich überhaupt empfinden lässt. Hier konnte ich durchatmen und etwas Kraft schöpfen (doch, oh weh, im nächsten Raum lauerte schon wieder der Tod…).

Mutter mit Kind, Kollwitz
Käthe Kollwitz: Mutter mit Kind auf dem Arm, 1916, Kreidelithographie 

„Es sind mir drei Dinge wichtig in meinem Leben: daß ich Kinder gehabt habe, daß ich einen solch treuen Lebenskamerad gehabt habe und meine Arbeit“, sagt sie einmal zu ihrem ältesten Sohn Hans. Die Mutterschaft gehört für die Künstlerin zur wichtigsten Grunderfahrung. Das spricht mir aus dem Herzen, denn ich empfinde genauso.

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Im Leben herrscht nicht immer eitel Sonnenschein

Im Museum war ich nahe dran, mir ein Buch mit den Werken von Käthe Kollwitz zu kaufen, habe mich dann aber dagegen entschieden, denn ich war mir nicht sicher, ob ich es zu Hause angesichts der kaum zu ertragenden Bilder überhaupt einmal zur Hand nehmen würde.

Doch dann erinnerte ich mich wieder an ein paar Gedanken, die ich erst kürzlich im Büchlein „Das Wenige und das Wesentliche“ gelesen habe:

Jede Geschichte des Werdens
Ist auch eine des Vergehens
Ein Gang in die Vergänglichkeit
Der Gang, der der letzte sein wird.

Zur Wahrheit des Sowohl-als-Auch
Zur Komplexität des Lebens gehört
Das Verhältnis zur eigenen Sterblichkeit
Zu Krankheit, Hinfälligkeit und Tod.

John von Düffel: Das Wenige und das Wesentliche

Das, was ich schwer erträglich finde, gehört nun einmal zum Leben dazu. Der Tod umgibt uns und wird doch nur zu oft ausgeklammert. Vielleicht berühren mich Kollwitz‘ Bilder auch deshalb so sehr, weil sie dem Unausweichlichen ein Gesicht, nein, viele Gesichter geben. In Anbetracht ihrer Werke muss man sich Schmerz, Elend und Tod stellen.

Das mag nicht dekorativ sein: Bilder von Käthe Kollwitz hängt man sicherlich nicht im Esszimmer auf. Aber ihre Kunst geht tief unter die Haut.

MM

Beitragsbild von Käthe Kollwitz: Losbruch, Blatt 5 aus dem Zyklus »Bauernkrieg«, 1902/1903



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2 Kommentare

  1. Queen All

    Ich kannte zwar den Namen, hatte mich aber bisher nie damit beschäftigt, was die Künstlerin eigentlich geschaffen hat. Die Bilder sind schon sehr gewichtig, das wäre nicht so meins. Aber wie du schreibst, sowas hängt man sich ja auch nicht ins Wohnzimmer. Die Geschichte zu dem Bild ‚Frau mit totem Kind‘ ist ja gruselig 😳

    • Miss Minze

      Was mich ratlos stimmt, ist, dass trotz des Wissens um das Leid, das jeder Krieg verursacht, immer noch so viele Menschen in den Krieg ziehen. Die Kunst kann dagegen offenbar nichts ausrichten. Auch das stimmt natürlich traurig: Die Geschichte wiederholt sich trotzdem.

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