Wie gut, dass ich Kinder habe. So komme ich auch als Erwachsene immer wieder in den Genuss, Kinderbücher zu lesen. Einige wenige Kinderbuchperlen schaffen es nämlich, die Essenz des (gesellschaftlichen) Lebens in wenige Bilder – und noch weniger Text zu fassen. Bei vielen von ihnen habe ich sogar das Gefühl, sie wurden in erster Linie für all jene geschrieben, die vorlesen, gar nicht so sehr für die Kinder.
Da wäre zum Beispiel mein allerliebstes Lieblingskinderbuch, das ich meiner Tochter zum vierten Geburtstag geschenkt habe:
Das wasserscheue Krokodil.
Es ist mir in der Buchhandlung sofort ins Auge gestochen, weil im Blick des Krokodils auf dem Buchcover die schiere Verzweiflung liegt. Das löste sofort und unmittelbar eine Welle des Mitgefühls in mir aus.
Wie der Titel erahnen lässt, geht es in der kurzen Geschichte um ein Krokodil, das Wasser nicht ausstehen kann – und deshalb auch nicht am Schwimmunterricht teilnimmt. Mit fatalen Folgen…
Während ich die ganze Zeit dachte, dass die Geschichte uns den Trick verrät, wie das Krokodil nun doch noch schwimmen lernt, hat sich die Autorin eine ganz andere (und viel bessere) Pointe ausgedacht.
Ich will nicht zu viel verraten, aber: Das Krokodil wird auch am Ende der Geschichte kein Freund des Wassers sein. Dafür entdeckt es etwas ganz Anderes.
Und die Moral von der Geschicht‘: Nur weil man anders ist, heißt das nicht, dass man schlechter ist – oder weniger Freunde hat. Dass wir bestimmte Dinge nicht können, mag lästig sein. Aber es ist eben auch die Voraussetzung dafür, zu erkennen, was wir wirklich draufhaben.
Das wasserscheue Krokodil von Gemma Merino, erschienen bei NordSüd
Das Gold des Hasen…
…ist allen Angsthasen gewidmet. Ich fühlte mich sofort angesprochen.
Dieses Bilderbuch stand in der Kinderbuchabteilung, aber ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich für Kinder gedacht ist. Gerade Mädchen sind ja so eine Glitzer-Einhorn-Zuckerwatte-Ästhetik gewohnt. Da kommen die künstlerischen Illustrationen in diesem Buch etwas verstörend daher. Nun, immerhin wirkt es dem Einheitsbrei entgegen.
Die Geschichte selbst ist zweideutig – und adressiert eindeutig zwei Zielgruppen: Kinder und Erwachsene.
Für Kinder geht die Geschichte so: Der alte Angsthase stirbt und vermacht sein Geld dem ängstlichsten Tier im Wald. Wer das ist, sollen die Tiere unter sich ausmachen. Weil der Hase eine ganze Truhe voll Gold gehortet hat, sind selbstverständlich alle Tiere daran interessiert, es zu erben. Selbst der böse Wolf stellt sich dem Wettbewerb um das Tier, das die größte Angst hat.
Unterschwellig ist „Das Gold des Hasen“ jedoch eine Geschichte über das Entstehen einer ganz besonderen Angst, dem Misstrauen nämlich.
Fazit: Das Streben nach Sicherheit macht uns zu Angsthasen.
Das Gold des Hasen von Baltscheit & Schwarz, erschienen bei Beltz & Gelberg
Verdi
Bei diesem Kinderbuch bin ich mir zu 100% sicher, dass es für Eltern geschrieben wurde. Umso erstaunlicher finde ich, dass es Kindern trotzdem so gut gefällt. Meine Tochter jedenfalls liebt Verdi fast so sehr wie das wasserscheue Krokodil.
Verdi ist eine Schlange, die nicht erwachsen werden will. Das klingt erstmal seltsam, denn Kinder können es doch gar nicht abwarten, endlich zu den Großen zu gehören. Das liegt allerdings weniger an den Großen als an den vielen Freiheiten, die sie genießen.
Die Erwachsenen selbst findet Verdi einfach nur abschreckend. Deshalb gibt er alles, um nicht so zu werden wie sie. Schlussendlich muss Verdi natürlich einsehen, dass er kein Kind mehr ist. Doch immerhin ist er sich selbst treu geblieben.
Fazit: In jedem Erwachsenen steckt noch das Kind, das er einst war.
Verdi – von Janell Cannon, erschienen bei Carlsen
MM
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